69-jährige Klassenkamerad, die unendlichen Weiten in einem Tröpfchen Träne

Neunundsechzig Jahre alt, sollte das das gelassenste Alter im Leben sein. Die Kinder haben ihre Familien gegründet und Karrieren aufgebaut, die beruflichen Erfolge sind erreicht, der Körper ist noch gesund, der Geist ist nicht geschwächt. Man kann die Berge und Gewässer genießen, Bücher schreiben, Enkelkinder verwöhnen und mit alten Freunden am Kamin plaudern. Doch mein Klassenkamerad, der einst an der Universität stand und die Welt erklärte, liegt nun in einem Altenheim auf einem Bett und kann sich nicht bewegen.

Er ist dieses Jahr neunundsechzig.

Vor ein paar Tagen erhielt ich plötzlich seinen Anruf, eine schwache Stimme kam am Telefon: „Hilfe...“ „Was ist passiert?“ fragte ich hastig. „Ich bin ins Altenheim gekommen.“ „Okay, verstanden, wir kommen am Freitag vorbei, um dich zu besuchen.“

Die Sonne in Guangzhou ist sehr stark. Heute Mittag gegen elf Uhr betrat ich das Altenheim im Stadtzentrum. Die Lobby war hell, der Flur im vierten Stock sauber und hell, und in der Luft lag der Duft von Essen. Als ich die Tür öffnete, sah ich ihn ruhig im Bett liegen, die Augen auf die Decke gerichtet, ein Tränchen am Augenwinkel, das schwebte und nicht fiel. In diesem Moment fühlte es sich an, als würde mein Herz von etwas fest umklammert, so schmerzhaft, dass ich kaum atmen konnte.

Er und ich gehören zu den ersten, die nach der Wiederherstellung der Hochschulaufnahmeprüfungen 1977 in die Universitäten eintraten. In diesem Jahr rannten wir mit Idealen und Büchern an der Weggabelung des Schicksals. Wir glaubten, dass Wissen das Schicksal verändert, und dass harte Arbeit das Leben prägt. Nach seinem Abschluss wurde er an eine Universität in der Stadt versetzt, stieg Schritt für Schritt vom Dozenten zum Professor auf, vom unerfahrenen Studenten zum führenden Akademiker. Er war für unzählige Studenten der „Leuchtturm“, ein Name, der häufig in akademischen Zeitschriften erschien, und ein Redner auf Konferenzen, der klar und scharf argumentierte.

Doch die Wendung des Schicksals kam so unerwartet. Nach nur wenigen Jahren im Ruhestand führte ein Schlaganfall zu einer halbseitigen Lähmung; in diesem Jahr kam der zweite Schlaganfall, der seinen Körper vollständig niederdrückte. Jetzt ist er am ganzen Körper schwach, hat Schwierigkeiten beim Schlucken, spricht unklar und kann sich im Alltag überhaupt nicht selbst versorgen. Er wohnt in einem Einzelzimmer, das aus einem Vierbettzimmer umgebaut wurde, mit einer monatlichen Gebühr von 16.300 Yuan, die von seiner monatlichen Rente von über zehntausend Yuan bezahlt wird. Finanziell ist er nicht arm, aber die Lebensqualität ist auf den Tiefpunkt gefallen.

Ich saß am Bett und rief ihn leise. Ich streckte die Hand aus und ergriff seine kalte Hand, er drehte leicht die Augen und erkannte mich, die Lippen zitterten, aber er konnte keinen klaren Ton von sich geben.

Ich nickte: „Ich füttere dich.“ Die Pflegekraft brachte das Mittagessen: blanchierte Garnelen, gedämpfte Auberginen, gebratene Schweinefleischstreifen mit Zucchini, gebratenes Gemüse, Reis und eine Schüssel mit Rippchen-Pflaumensuppe, die von seiner Frau zubereitet wurde. Ich fütterte ihn Löffel für Löffel, er bemühte sich zu schlucken. Sechs Garnelen, sechs Löffel Reis, eine halbe Schüssel Suppe – das war bereits sein Limit. Nach dem Essen schloss er erschöpft die Augen und schlief tief ein.

In diesem Moment saß ich am Bett und war lange sprachlos. Draußen schien die Sonne hell, die Schatten der Bäume tanzten, während drinnen eine einst lebhafte Seele in einem zerbrochenen Körper gefangen war.

Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen: Was bleibt im Leben, wenn man so weit gekommen ist?

I. Ein Leben voller Kämpfe, wo führt es hin?

Wir sind eine Generation, die von der Zeit ausgewählt wurde. 1977 wurden die Hochschulaufnahmeprüfungen wiederhergestellt, Millionen von Jugendlichen rannten von den Feldern, Fabriken und Grenzposten zu den Prüfungsräumen. Wir sind Zeitzeugen dieser historischen Veränderung, ein lebendiges Beispiel dafür, dass „Wissen das Schicksal verändert“. Wir glauben an harte Arbeit, an Gerechtigkeit und daran, dass man durch Anstrengung Würde und Zukunft gewinnen kann.

Mein Klassenkamerad ist zweifellos einer der Besten. Er stammt aus einfachen Verhältnissen, hat aber mit echtem Talent und Wissen an einer renommierten Universität studiert; er hat fleißig gelernt und wurde schließlich Professor; er hat Schüler auf der ganzen Welt und zahlreiche Werke veröffentlicht. Sein Leben ist das typische „Erfolgsmuster“: Lernen, Arbeiten, Aufsteigen, in den Ruhestand gehen und den Lebensabend genießen.

Doch heute ist all das zu einer Illusion geworden. Seine Titel, Auszeichnungen und akademischen Erfolge erscheinen am Krankenbett so blass. Niemand interessiert sich mehr dafür, wie viele Artikel er veröffentlicht hat oder wie viele Doktoranden er betreut hat. Die Menschen interessieren sich nur dafür, wie viel er heute gegessen hat, ob er Stuhlgang hatte und ob er umgedreht werden muss.

Das erinnert mich an einen Satz aus dem buddhistischen „Diamant Sutra“: „Alle bedingten Dinge sind wie Traum, Illusion, Blase und Schatten, wie der Tau und der Blitz, so sollte man sie betrachten.

Sind die Ruhm, der Status und die Errungenschaften, nach denen wir ein Leben lang streben, wirklich so fest, wie wir uns vorstellen? Wenn der Körper zusammenbricht und das Bewusstsein verschwommen ist, können die Dinge, auf die wir einst stolz waren, uns dann noch helfen, den unbekannten Ängsten zu begegnen?

Der Buddha sagte, dass alle Dinge in der Welt unbeständig sind. Gesundheit kann verloren gehen, Reichtum kann erschöpft werden, Angehörige können sich trennen, und selbst unser am meisten geschätztes „Ich“ ist nur eine vorübergehende Ansammlung der fünf Skandhas (Form, Empfindung, Vorstellung, Handlung, Bewusstsein). Mein Klassenkamerad war einst „Professor“, „Wissenschaftler“, doch heute sind all diese Identitäten abgelegt, und es bleibt nur der „Kranke“ in diesem ursprünglichsten, hilflosesten Zustand.

Doch gerade in dieser Entblößung können wir das Wesen des Lebens erblicken.

II. Die unendlichen Weiten in einem Tröpfchen Träne

Heute fütterte ich ihn zu Ende und bereitete mich darauf vor zu gehen. Plötzlich öffnete er die Augen, Tränen strömten erneut hervor und liefen über seine Wangen. Ich wischte sie nicht weg, sondern hielt einfach seine Hand. In diesem Moment schien ich die Licht- und Schattenbilder seines Lebens zu sehen: als Jugendlicher fleißig lernen, als junger Erwachsener kämpfen, als Erwachsener glänzen, als Alter einsam sein.

Diese Träne ist keine Schwäche, sondern ein Erwachen.

Der Buddhismus spricht von den vier edlen Wahrheiten „Leiden, Ursprung, Beendigung, Weg“, die erste Wahrheit ist die „Leiden-Wahrheit“ – das Wesen des Lebens ist Leiden. Geburt, Alter, Krankheit, Tod, Trennung von Geliebten, Zusammenkunft mit dem Hass, das Streben nach dem Unmöglichen und das Auflodern der fünf Skandhas sind alles Leiden. Unser ganzes Leben versuchen wir, das Leiden zu vermeiden und das Glück zu suchen, doch das Glück ist vergänglich, das Leiden jedoch ist die Grundfarbe.

Mein Klassenkamerad hatte ein reibungsloses Leben, war beruflich erfolgreich, nach den weltlichen Maßstäben ist er ein „Lebensgewinner“. Doch als die Krankheit kam, zerbrachen alle äußeren Glanzlichter in einem Augenblick, und übrig blieb nur Schmerz und Hilflosigkeit. Ist das nicht das „Leiden des unerfüllten Wunsches“? Er wünscht sich Gesundheit, Autonomie und Würde, doch all dies bleibt unerfüllt.

Doch der Buddhismus lehrt nicht, im Leiden zu versinken, sondern das Leiden klar zu erkennen und zu überwinden.

Der Buddha sagte: „Alle Dinge sind unbeständig, das ist das Gesetz von Geburt und Tod; wenn Geburt und Tod enden, ist das die Freude der Stille.

Wahre Freude liegt nicht im äußeren Erfolg, sondern in der inneren Befreiung. Wenn ein Mensch die Unbeständigkeit gelassen akzeptieren, den Schmerz annehmen und die Anhaftung an das „Ich“ loslassen kann, dann kann er im tiefsten Dunkel das Licht sehen.

Mein Klassenkamerad, obwohl sein Körper gefangen ist, ist sein Bewusstsein noch vorhanden. Diese Träne ist vielleicht die tiefste Frage seiner Seele nach dem Sinn des Lebens: Wofür lebe ich? Ist alles, wonach ich strebe, wirklich wertvoll? Wenn ich noch einmal anfangen könnte, würde ich dann einen anderen Lebensweg wählen?

Diese Fragen haben keine Standardantwort, aber sie zu stellen, ist an sich schon ein Erwachen.

III. Die Würde des Gefüttertwerdens: Die Erlösung durch Liebe und Begleitung

In diesem Jahr fütterte ich ihn. Er öffnete mühsam den Mund und schluckte langsam, jeder Biss schien mühsam. Plötzlich wurde mir klar: Füttern ist auch eine Art der Praxis.

Im Buddhismus ist „Geben“ nicht nur das Geben von Geld, sondern auch das Geben von Zeit, Energie und Liebe. Ich fütterte ihn Löffel für Löffel, ist das nicht auch eine Art von „Furchtlosigkeit geben“? Ich ließ ihn wissen, dass er nicht allein ist, dass es jemanden gibt, der bereit ist, sich zu bücken und ihm die Krümel vom Mundwinkel zu wischen.

Seine Frau kocht ihm jeden Tag Suppe, Rippchen mit Pflaumen, süß und lindernd für die Lunge. In dieser Suppe ist nicht nur Nährstoff, sondern auch die Emotionen, die über Jahrzehnte geteilt wurden. Der Buddhismus spricht von „Mitgefühl und Freude geben“, wobei „Mitgefühl“ Freude geben und „Trauer“ das Leiden lindern bedeutet. Seine Frau praktiziert auf die einfachste Weise „Mitgefühl“.

Und ich, als „alter Freund“, kann nicht viel tun, aber jedes Mal zuzuhören und zu füttern, ist ein Zeugnis für die „Unbeständigkeit“ und ein Festhalten an der „Freundschaft“.

Wir denken oft, der Wert des Lebens liege darin, wie große Erfolge man erzielt und wie viel Reichtum man hat. Doch wenn das Leben zu Ende geht, sind es oft die kleinen, warmen Momente, die wirklich Spuren hinterlassen: eine Schüssel Suppe, ein Händedruck, ein „Ich bin hier“.

Mein Klassenkamerad, obwohl er die Fähigkeit zu handeln verloren hat, wird immer noch „geliebt“. Diese Liebe ist die kostbarste Nahrung in seinem verbleibenden Leben. Sie kann den Schlaganfall nicht heilen, aber sie kann die Seele nähren.

IV. Wie sollen wir nach sechzig leben?

Mein Klassenkamerad ist neunundsechzig Jahre alt, und die meisten von uns aus dieser Generation sind bereits im Ruhestand oder stehen kurz davor. Sein Schicksal ist wie ein Spiegel, der die Zukunft eines jeden von uns reflektiert.

Wie sollen wir dem Alter begegnen? Wie sollen wir mit Krankheiten umgehen? Wie sollen wir der Zukunft begegnen?

Der Buddhismus bietet einen Weg: Das Herz kultivieren.

Im „Herz-Sutra“ heißt es: „Das Herz hat keine Anhaftungen, da es keine Anhaftungen gibt, gibt es keine Angst, fern von verwirrten Träumen, letztlich Nirvana.

Wenn wir uns nicht mehr an äußeren Erfolgen, körperlicher Gesundheit und der Länge des Lebens festhalten, kann das Herz wirklich Frieden finden.

Nach sechzig könnten wir vielleicht:

  • Das Leben vereinfachen: Die Abhängigkeit von Materiellem reduzieren, zurück zur Einfachheit. Ein kleines Zimmer, eine Tasse Tee, ein gutes Buch, das ist Glück.
  • Mitgefühl üben: Gutes tun und anderen helfen. Ob durch Spenden, Freiwilligenarbeit oder einfach mehr Geduld mit der Familie, all das ist das Ansammeln von Verdiensten.
  • Achtsamkeit praktizieren: Täglich einen Moment still sitzen, den Atem beobachten, Gedanken wahrnehmen. Nicht urteilen, nicht widerstehen, einfach „sehen“. Das kann uns helfen, klar zu bleiben, wenn wir mit Krankheit und Tod konfrontiert werden.
  • Die Anhaftung loslassen: Nicht mehr an „Ich muss gesund sein“, „Ich darf meine Kinder nicht belasten“ oder „Mein Leben muss perfekt sein“ festhalten. Die Unbeständigkeit zu akzeptieren, ist die größte Weisheit.
  • Den gegenwärtigen Moment schätzen: Zeit mit alten Freunden verbringen, mit der Familie essen, eine Blume blühen sehen, den Gesang der Vögel hören. Jeder Moment ist ein Geschenk des Lebens.

Mein Klassenkamerad, hätte er in gesunden Zeiten diese Dinge früher verstanden, wäre vielleicht das heutige Leiden weniger. Aber selbst jetzt ist es nicht zu spät. Solange das Bewusstsein noch vorhanden ist, kann er weiterhin „loslassen“, „akzeptieren“ und in jedem Atemzug das Fließen des Lebens spüren.

V. Am Ende des Lebens, was bleibt?

Zurück zu der ursprünglichen Frage: Was bleibt in seinem Leben?

Aus weltlicher Sicht hat er die Gesundheit, die Freiheit, die Würde und sogar die Sprache verloren. Was ihm „bleibt“, scheint nur Atmen und Warten zu sein.

Doch aus der Perspektive des Buddhismus besitzt er immer noch das wertvollste Gut:

  • Er hat Bewusstsein: Er kann dich sehen, kann dich hören, kann die Wärme des Gefüttertwerdens spüren. Dieses Bewusstsein ist der Ausdruck des Buddha-Natur.
  • Er hat Emotionen: Seine Tränen sind die Zuneigung zum Leben; sein mühsames Schlucken ist das Verlangen zu leben. Emotionen sind der Glanz der Menschlichkeit.
  • Er hat Liebe: Dein Besuch, die Suppe seiner Frau, die Pflege der Krankenschwester, all das ist der Fluss der Liebe. Liebe ist die Kraft, die über Leben und Tod hinausgeht.
  • Er hat Karma: Seine guten Taten, Lehren und Schriften aus seinem Leben haben bereits gute Ursachen gesät. Dieses Karma wird ihn in zukünftige Wiedergeburten leiten.

Der Buddhismus sagt, dass am Ende des Lebens alle guten und schlechten Taten wie ein Film abgespielt werden. Wenn er sich daran erinnern kann, wie er gewissenhaft gelehrt, wie er sich um seine Schüler gekümmert, wie er seine Eltern geehrt und wie er mit seiner Frau zusammengehalten hat, werden diese guten Gedanken Frieden bringen.

Und wir sollten daraus lernen: Der Sinn des Lebens liegt nicht darin, wie viel du hast, sondern darin, was du hinterlässt.

Was du hinterlässt, ist nicht der Kontostand, nicht die Anzahl der Immobilien, sondern:

  • Wie du die Menschen behandelt hast, die dich lieben;
  • Wie du den Menschen geholfen hast, die Hilfe benötigten;
  • Wie du in schwierigen Zeiten Würde bewahrt hast;
  • Wie du in der Unbeständigkeit Frieden gefunden hast.

VI. Schlusswort: In der Unbeständigkeit das Ewige leben

Als ich das Altenheim verließ, senkte sich die Abendsonne langsam. Ich blickte zum Himmel, die Wolken und der Sonnenuntergang waren prächtig, wie brennende Flammen. In diesem Moment wurde mir plötzlich klar: Der Sinn des Lebens liegt vielleicht darin, die Unbeständigkeit zu erkennen und dennoch zu lieben.

Mein Klassenkamerad, neunundsechzig Jahre alt, bettlägerig, mit strömenden Tränen. Doch in dieser Träne steckt sein Leben von neunundsechzig Jahren: die Beharrlichkeit des fleißigen Lernens, die Leidenschaft auf der Bühne, die Wärme der Familie, die Tiefe der Freundschaft. Diese Träne ist das Abbild der unendlichen Weiten, das tiefste Bekenntnis des Lebens.

Wir können das Altern nicht vermeiden, aber wir können wählen, wie wir damit umgehen.

Wir können wie er sein, auch in Schmerzen zu weinen – denn diese Träne ist der Beweis, dass die Seele nicht tot ist.

Wir können auch in den hilflosesten Momenten eines Freundes sanft sagen: „Ich bin hier, ich füttere dich.“

Das ist der einfachste Wert des Lebens: In der Flut der Unbeständigkeit mit Liebe als Boot und Bewusstsein als Licht, sich selbst und andere überqueren.

Möge jeder von uns in den späten Jahren auf ein ganzes Leben zurückblicken, ohne Reue und Bedauern.

Möge jede Seele, die von Krankheit gefangen ist, im sanften Licht der Liebe den Weg nach Hause finden.

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